Foto: Freepik
Retreat mit Schreibcoach
„Dieser Ausblick!“ Sie seufzt zufrieden, atmet noch einmal tief durch und vertieft sich wieder in ihre Notizen. Das Panorama vom Ottohaus auf der Rax ist umwerfend, der Weitblick öffnet nicht nur die Seele, sondern auch das Tor zur – manchmal gut verborgenen – Kreativität.
Die letzten beiden Tage waren sehr ereignisreich, inspirierend, aber auch anstrengend.
Schreibretreat Tag 1: Ziele fürs Buch definieren
Hier das Logbuch für unsere Reise zum Buch:
Donnerstag, 14:00 Eintreffen im Raxalpenhof am Fuße der Rax in Niederösterreich.
Fast gleichzeitig schlagen wir auf. Meine Kundin, im weiterer Folge aus Gründen der Anonymität Angela genannt, wird vom hoteleigenen Shuttle direkt vor der Tür abgesetzt, ich steige aus dem Auto.
Wir haben zwei Zimmer nebeneinander in dem großen, verwinkelten, fast schon verzauberten Haus gebucht. Mit Sicht auf die Berge. Es ist ein lauer Frühlingstag und der erste Weg nach dem Einchecken führt uns auf die kleinen Terrassen, die an unsere Zimmer angeschlossen sind. Die Sonne erreicht gerade die Vorderseite des Hauses und erwärmt unsere vom Alltag gestressten Körper.
„Wollen wir gleich starten?“ Die 45-jährige Businessfrau Angela kann es kaum erwarten. Ich nicke. „Noch einen Kaffee, dann kann es losgehen!“
Was nun folgt, ist die Qual der Wahl: Sollen wir auf einer der kleinen lauschigen Terrassen bleiben, uns ins Turmzimmer setzen oder in die Laube vor dem Haus? Nachdem Angela in der Entscheidungsparalyse gefangen ist, übernehme ich: „Lass uns den Kaffee einfach hier auf meiner Terrasse genießen!“
Ich zücke mein Tablet und los geht es mit der ersten Runde. Ziel-Workshop. Wo soll’s hingehen? Folgende Fragen werden wir im Laufe des Nachmittags beantworten:
Wer soll dein Buch lesen?
Was sollen deine LeserInnen davon haben, dass sie dein Buch lesen?
Wie möchtest du von deinem Buch profitieren?
Welcher Stil passt zu dir?
Außerdem evaluieren wir gemeinsam Angelas Unterlagen: Sie hält regelmäßig Workshops, und so sind einige Handouts, PowerPoints und Skripten zusammengekommen.
Im Vorgespräch, circa zwei Wochen vor unserem Retreat, hat sie von mir einige Aufgaben bekommen. Und nun ist es an der Zeit, die ersten Eckpunkte schriftlich festzuhalten.
Drei Stunden, zwei Kaffees und eine Pause später sind wir am Ende. Nicht mit dem Buch, aber mit unserer Gehirnleistung.
Luft ums Hirn
Mich zieht es ins Spa, aber davor brauche ich eine Massage von der legendären Frau Irene mit den magischen Händen. Angela hat sich ihren Termin mit Irene für morgen reserviert und beschließt, eine Runde spazierenzugehen. Wo ginge das besser als hier? Einfach raus vors Haus und los. Egal, in welche Richtung – es geht immer bergauf. Nicht unbedingt auf den Berg, aber mit der Stimmung. Die Vögel zwitschern sich die Seele aus dem Leib, die Blumen stehen in voller Pracht, die Natur lebt.
Als wir uns später zum Abendessen treffen, strahlt Angela: „Ich konnte mich vor Ideen gar nicht retten. Dabei wollte ich nur meinen Kopf auslüften! Nächstes Mal nehme ich meinen Notizblock mit oder das iPad!“
Ich lächle nur wissend. Mir geht es immer ähnlich, wenn ich hier unterwegs bin. Und sie wird richtig staunen, wenn es übermorgen auf die Rax geht!
Schreibretreat Tag 2: Struktur erstellen fürs Buch
Freitag, 9:00
Wir treffen uns zum Frühstück, dann haben wir wieder eine dreistündige Session. Wir erarbeiten gemeinsam eine Struktur, ich schreibe auf dem iPad mit und teile meine Notizen mit Angela, die ungläubig lächelt. So einfach kann es gehen! Naja – sooo einfach ist es nicht, aber gemeinsam entsteht vieles natürlich schneller. Immerhin habe ich schon einige (okay, es sind über 100) Buchprojekte begleitet!
Mittags ist es dann so weit: Wir haben eine Struktur! Ein provisorisches Inhaltsverzeichnis, und auch die ersten Überschriften stehen fest!
Angela, die zwar Profi auf Excel und PowerPoint ist, aber WORD bisher eher mit Missachtung gestraft hat, lernt blitzschnell, wie sie sich das Inhaltsverzeichnis am besten zunutze machen kann, und nach einer Mittagspause mit köstlichstem Essen und Massage beginnt ihre Schreibzeit, in der Angela ihre Inhalte in die soeben erarbeitete Struktur einfügt. Dafür hat sie Zeit, bis wir uns am späten Nachmittag zu einem Gespräch treffen. Wir gehen gemeinsam alles durch, die paar Fragen und Unklarheiten, die sich ergeben haben, sind schnell aus dem Weg geräumt.
Abends fallen wir beide zufrieden und früh in unsere jeweiligen Betten.
Foto: Raxbahn
Schreibretreat Tag 3: Schreiben mit Weitblick
Samstag, 8:00
Heute geht es früh los – nach dem Frühstück fahren wir mit dem Auto die paar Kilometer zur Talstation der Rax, mit der Seilbahn hinauf und dann steht uns eine kleine Wanderung bevor. Entsprechend Angelas ausdrücklichem Wunsch überwinden wir die 99 Höhenmeter und erklimmen das Ottohaus. Eigentlich bin ich ja nicht so das Bewegungswunder, und mein Plan hätte einen Schreibtag auf der Terrasse der Bergstation vorgesehen, aber ich gebe zu, dass dieses Panorama bei mir tief drin im Herzen etwas auslöst. Meiner Kundin dürfte es ähnlich ergehen: Sie juchzt, grinst und immer wieder entfährt ihr ein „Oooh!“ oder ein „Schau, wie schön!“ Schön ist es wirklich, wunderschön.
Und auch auf einer professionellen Ebene bin ich glücklich, dass Angela so begeistert ist. Denn Erlebnisse wie dieses sind es, die unser Gehirn zu wahren Kaskaden der Kreativität und Aktivität anregen.
Das trifft sich gut, denn heute geht’s ans Storytelling. Die harten Fakten haben wir ja gestern schon gesammelt und, zumindest im Rohzustand, ins Dokument geordnet. Heute sollen die Geschichten fließen.
Rockmusik für die Seele
Im Ottohaus angekommen, suchen wir uns eine möglichst ruhige Ecke auf der glücklicherweise windstillen Terrasse. Noch sind wenige Wanderer hier, und das müssen wir nutzen. Daher starten wir gleich. Angela steckt sich die Ohrhörer in die Ohren – sie braucht Rockmusik, um sich konzentrieren zu können – und tippt los. Ich habe zur Sicherheit eine tragbare Batterie mitgebracht, damit uns nicht in einem kritischen Moment das Saft ausgeht, und widme mich meinen Dingen, während ich gedankenverloren an meinem Kaffee schlürfe.
Verstohlen werfe ich meiner Kundin ab und zu einen Blick zu, aber die ist so vertieft in ihr Tun, dass sie mich nicht bemerkt. Gut so!
Schreiben mit Unterstützung
Meine Aufgabe für heute ist es, sie so gut wie möglich abzuschotten und fürs leibliche Wohl zu sorgen. Dazwischen lasse ich meine Gedanken schweifen. Was für eine Idee war das von mir! Eigentlich entstanden aus einem verrückten Nachmittag im Büro – und nun bin ich schon zum fünften Mal mit einer Kundin unterwegs! Einmal waren es fünf Tage in der Toskana, einmal durfte ich das verlängerte Wochenende in einem Landhaus der Familie eines Kunden verbringen und zweimal waren es Häuser in der Steiermark, die als Retreat dienten.
Jedes Mal war völlig unterschiedlich von den anderen, jede Kunde und jede Kundin brachten eigene Themen mit. Von der klassischen Schreibblockade über die Frage: „Wer soll denn das lesen wollen?“, für die ich „Trollflüsterin“ Monika Lexa eingeladen habe bis hin zum klassischen: „Ich hab so viele Informationen und weiß nicht, wie ich sie ordnen soll“. Jede einzelne dieser Personen konnte mit einem fertigen Buchkonzept heimwärts ziehen. Und einer hat nach dem Retreat sogar den von ihm so ersehnten Verlagsvertrag bekommen.
Backup für dein Buch
Angelas Stimme katapultiert mich zurück ins Hier und Jetzt: „Ich wär dann so weit. Für heute reicht es, glaube ich! Darf ich dir dann noch alles schicken, dass du drüberschaust?“ Na klar!
Das ist Teil der Vereinbarung: Das Dokument wird – sofern gewünscht – weiter von mir betreut. Und sollte Angela irgendwann die Freude am Weiterschreiben verlieren oder einfach ein Zeitthema haben, dann werden wir einen Weg finden, wie ich ihr Manuskript abschließe.
„Damit nimmst du mir enorm viel Druck. Die Angst davor, dass ich es nicht schaffe, weil mich mal wieder das Leben überholt!“ Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Manchmal passiert einfach alles gleichzeitig. Und in einem Solchen Fall ist es immer gut, wenn man ein Backup hat. Oder, wie in unserem Fall, gleich ein ganzes Team, das dahintersteht.
Anmerkung der Autorin: Aus Gründen der Anonymität habe ich Stockfotos von Freepik.com anstatt „echter“ Fotos gewählt. Der Schutz meiner KundInnen steht bei mir immer an erster Stelle!
Schreibretreat Tag 4: Berühmte letzte Worte
Sonntag 9:00
Ein letztes Frühstück. Kaffee (eh klar!), Müsli, Mehlspeis, Semmerln, Butter und weiche Eier. Das volle Programm zum Abschluss.
Danach noch eine Stunde für uns. Wir gehen noch einmal Angelas weitere Vorgangsweise durch. Besprechen, wie es weitergeht, wenn alles nach Plan läuft. Und was passiert, wenn was passiert. Dann fragt sie noch: „Und wenn das Buch fertig ist? Wie geht es weiter?“
Wir besprechen ausführlich ihre Optionen bezüglich Verlag und Self Publishing, Marketing und Lesung, bevor sie beschwingt in ihr Shuttle steigt.
„Das würde ich jederzeit wieder machen – kann ich so einen Retreat auch zwischendurch bekommen, wenn ich nicht weiterweiß?“ Wer mich ein bisschen kennt, kann sich meine Antwort vorstellen. Wer nicht, der sollte mich dringend kennenlernen. ;-)