Die Wort-Zombies
Ich bin ja, wie viele wissen, nicht „nur“ Ghostwriter, sondern habe eine ganze Menge anderer Dinge gelernt und gemacht. Unter anderem habe ich vor ein paar Jahren eine Ausbildung zur Resilienztrainerin und Fachtrainerin absolviert, ebenso wie einen Lehrgang zur Mentaltrainerin.
Gerade im Resilienztrainerlehrgang hab ich mich manchmal unwohl gefühlt. Warum, das hätte ich nicht sagen können. Die Gruppe war okay – manche sogar mehr als okay – , die Trainerin hat auch gepasst und die Inhalte haben mich interessiert (eh klar, sonst hätt ich’s nicht gemacht, oder?).
Toter Sch*iß
Und doch … die Wörter, die auf diesen Folien waren, auf diesen Flipcharts, haben mich unangenehm berührt. Begonnen hat es mit dem Wort „Resilienzfaktoren“. Das Wort ist so tot, dass es schon stinkt! Und wenn es sich doch noch bewegt, dann nur, weil es ein Zombie ist! Ein doppelter Zombie! Denn weder das Wort „Resilienz“ noch das Wort „Faktor“ erzeugen ein Bild in meinem Kopf. Der Bambus, das ewige Symbol der Resilienz, der schon! Da sehe ich diese biegsamen Stängel, die sich im Wind beugen, nur, um sich wieder aufzurichten, die schlanken Blätter, die zum Licht streben und sich von Hindernissen nicht abhalten lassen. Ich selbst habe einen Bambussprössling seit Ewigkeiten in einem Krug Wasser in der Küche stehen – er ist nicht umzubringen! Und wenn man ihn einsetzt, dann ist er überhaupt nicht mehr aufzuhalten. Aber ich drifte ab … also zurück zu den Zombies.
Was sind „tote Wörter“?
Für mich sind tote Wörter oder Wort-Zombies solche, die im Gehirn und in der Seele nichts auslösen. Kein Bild, keine Emotionen, keine Geschichte. Und das ist genau ihr Problem: Denn unser Gehirn ernährt sich von Geschichten, Bildern und Emotionen. Es saugt sie auf, blüht damit auf und merkt sich das, was wir quasi „erleben“. Denn unser Gehirn, dieses Wunderding, kann zwischen wirklich Erlebtem und Gelesenem oder Gesehenem nicht unterscheiden. Das bedeutet: Wenn wir von einer Geschichte Gänsehaut bekommen, sie uns zum Lachen oder zum Weinen bringt, dann merken wir sie uns. Und auch das, was sie uns vermittelt hat. Dieser Logik folgend, sollten zumindest die Schlüsselwörter einer Geschichte (sehe nur ich einen kleinen goldenen Schlüssel vor mir, wenn ich das lese?) lebendig sein.
Zombies wiederbeleben
Sehen wir uns einmal an, wie wir den Zombies Leben einhauchen können. Nehmen wir das Wort „Resilienz“. Die Definition kommt eigentlich aus der Werkstofflehre und bezeichnet die Fähigkeit eines Gegenstands, sich bei Belastung zu verformen und danach wieder in seine ursprüngliche Form zurückzukehren.
Wie könnte man nun dieses Wort umschreiben oder anders benennen? Wahrscheinlich gar nicht. Sonst hätte irgendein kluger Kopf es schon gemacht.
Die sogenannten Resilienzfaktoren allerdings, also jene Eigenschaften, die ein Mensch haben oder erwerben muss, um resilient zu bleiben oder zu werden, die könnte man sehr wohl umbenamsen.
„Selbstwirksamkeit“
ist eines meiner Lieblingshasswörter. Ich habe eine Erklärung gebraucht, um es zu verstehen. Und ich merke es mir nicht. Es geht darum, dir bewusst zu machen, was du selbst ändern und bewirken kannst. Dass du nicht das Opfer der Umstände sein musst, sondern dich dazu entscheiden kannst, etwas zu ändern. Entweder die Umstände, wenn das möglich ist. Oder, wenn das aus irgendwelchen Gründen nicht geht, deine Einstellung zu den Dingen.
Stell dir vor, du hast einen bösen Schwiegervater. Der dich hasst und dir das Leben zu Hölle macht. Nun kannst du entweder einen weiten Bogen um den alten Knacker machen (Umstände ändern) oder deine Einstellung ändern. Dir vor Augen halten, dass es einen Grund hat, dass er ist wie er ist. Und dir klarmachen, dass du ihn ja eh nur zweimal im Jahr siehst. Und mit dieser Relativierung ist es vielleicht schon einfacher.
Man könnte sagen: „Nimm die Dinge in die eigenen Hände“. Spürst du das auch? Es macht was! Ich habe ein Bild vor Augen. Auch wenn es sich vielleicht um eine abstrakte Sache handelt, die man gar nicht in die Hände nehmen kann! „Du kannst es ändern!“
Ja, ich weiß, das ist kein Wort, sondern ein Satz. Aber einer, den man sich merkt. Den man spürt. Und er ist kein künstlich konstruierter Begriff, mit dem kaum jemand was anfangen kann.
Time for a change!
Was ich schlimm finde, ist, dass fast alle Resilienztrainer:innen diese Begriffe unreflektiert übernehmen, nur weil sie „in der Literatur“ so genannt werden. Ich persönlich finde ja, dass man „die Literatur“ neu schreiben sollte diesbezüglich!
Und ja, es gibt manche Autor:innen, die sich von dieser toten Sprache abwenden und ihr eigenes Ding durchziehen. Eines dieser Projekte darf ich aktuell begleiten, und das Buch wird noch in diesem Jahr das Licht der Welt erblicken.
Geh auf Zombie-Jagd!
Es gibt in jedem Metier solche Zombies. Und das Problem ist, dass du als Expert:in auf deinem Gebiet die eigenen lebenden Toten meist nicht mehr wahrnimmst. Weil sie dir inzwischen in Fleisch, Blut und Gehirn übergegangen sind. Vielleicht hast du manchmal beim Lesen deiner ein etwas schales Gefühl, aber du kannst nicht den Finger drauflegen, was dich stört.
Das Gleiche gilt natürlich ebenso für Social Media-Posts etc. Alle hassen Marketing-Sprech – und dennoch verwenden wir ihn alle ab und zu. Lass es, soweit es geht! Schreib lieber frei von der Leber weg, sche*ß auf Buzzwords, auf Cliffhanger und so weiter und bring Seele in deine Texte, egal, was du schreibst!
Und ja, man darf ab und zu auch etwas derber oder verrückt schreiben – sofern es zum eigenen Image passt. Auch hier ist Authi… Authezi… Auto… äh, AUTHENTIZITÄT wichtig. Erzähl Stories, schreib ruhig in einfachen Worten, nur lass die (Wort-)Leichen im Keller!